40

 

Meine Loyalität galt stets dem Haus Atreides, doch die Bedürfnisse der verschiedenen Atreides sind oft widersprüchlich – Alias, Jessicas, Pauls, Herzog Letos, sogar die der neugeborenen Zwillinge. An diesem Punkt werden Loyalität und Ehre kompliziert und hängen von einer guten Urteilskraft ab.

Gurney Halleck

 

 

Obwohl Bronso von Ix bereits seit mehreren Jahren ein gesuchter Mann war, hatte Alia eine noch unerbittlichere Jagd begonnen, um ihn zu finden und seiner anhaltenden Rufmordkampagne gegen Paul Atreides ein Ende zu bereiten. Sie empfand seine Hetzreden als persönlichen Affront, und sie wollte ihn noch vor ihrer Hochzeit fassen.

Sie übertrug Duncan Idaho das Kommando, wobei Gurney Halleck ihm jede erdenkliche Unterstützung zukommen lassen sollte – wie in alten Zeiten.

Der Ghola traf sich mit Gurney in einem Privatzimmer, das sich in einem großen und größtenteils leeren Zitadellenflügel befand. »Erinnerst du dich noch daran, wie wir beide nach dem militärischen Debakel auf Grumman hinter Rabban her waren?«, fragte Gurney und setzte sich. »Wir haben ihn eingeholt und ihn über einem hydroelektrischen Damm in die Ecke getrieben.«

Duncan warf ihm einen belustigten Blick zu. »Ich sehe, dass du mich immer noch testest – es war kein Damm, sondern ein Wasserfall in einer steilen Schlucht. Damals hat mein Schwert zum ersten Mal Blut geschmeckt.« Er verengte die künstlichen Augen. »Bronso ist ein viel verschlagenerer Mann als die Bestie Rabban und sehr viel schwerer zu fassen. Du solltest dich auf die Jagd nach ihm konzentrieren, nicht darauf, mein Gedächtnis auf die Probe zu stellen.«

Gurney gab ein tiefes Schnauben von sich. »Du hast vielleicht all deine Erinnerungen, mein Freund, aber anscheinend hast du nicht mehr deinen alten Sinn für Humor.«

Duncan beugte sich vor und stützte in einer überraschend lässigen Geste die Ellbogen auf die Knie. »Wir haben einen Auftrag zu erledigen, und Bronso wird es uns nicht leichtmachen. Im Laufe der Jahre hat er versucht, alle Bilder, die es von ihm gibt, aus öffentlichen Aufzeichnungen zu tilgen, und das mit so viel Erfolg, dass er zweifellos Hilfe von einflussreicher Seite hatte – vielleicht von der Raumgilde oder von den Bene Gesserit.

Paul hat sich mächtige Feinde gemacht. Deshalb hat Bronso da draußen im Imperium Verbündete, Leute, die seine Einschätzung über die Regierungsexzesse Muad'dibs teilen – enteignete Landsraadsmitglieder, ganz sicher die Gilde und die Schwesternschaft und dazu die Loyalisten des gestürzten Corrino-Imperators.«

Gurney runzelte die Stirn und kratzte sich am Kinn. »Aber Bronso hat auch viele tödlich beleidigt. Es ist kaum zu glauben, dass ihn noch niemand verraten hat.«

»Als man ihn das erste Mal festnahm, hat es nichts genützt«, sagte Duncan.

»Sicher, aber er wäre nicht davongekommen, wenn einer von uns für die Sicherheit zuständig gewesen wäre.«

Drei Jahre zuvor, während der letzten Gefechte des Djihads, war Bronso Vernius in die Todeszelle geworfen und von skrupellosen Qizara-Inquisitoren verhört worden. Laut der lückenhaften Berichte, die Gurney über diesen peinlichen Vorfall hatte zutage fördern können, hatten die Priester Bronso heimlich festgehalten und nicht einmal Muad'dib darüber informiert ... und doch war Bronso entkommen, um seitdem seinen umstürzlerischen Kreuzzug fortzusetzen.

Angesichts der unglaublichen Sicherheitsmaßnahmen in Muad'dibs Zitadelle erschien es unmöglich, dass der Renegat sich ohne Hilfe hatte befreien können – ein Gerücht ließ vermuten, dass Paul selbst die Finger im Spiel gehabt hatte, obwohl Gurney sich nicht vorstellen konnte, warum er so etwas hätte tun sollen. Das Qizarat hatte versucht, das Debakel zu vertuschen, aber die Sache sprach sich trotzdem herum, und so nahm die Legende um Bronso von Ix immer größere Ausmaße an ...

Nach den empörenden Aktionen des Ixianers bei Pauls Gedenkfeier hatte Alia gewaltige Gewürzmengen und Segnungen im Namen Muad'dibs als Belohnung für Bronsos Ergreifung versprochen. Doch er blieb so geheimnisvoll und unauffindbar wie der gesetzlose Muad'dib es in seinen Wüstenjahren gewesen war. Bronso, der Paul eingehend studiert hatte – wenn auch nur, um ihn zu kritisieren –, setzte vielleicht ähnliche Techniken ein, um sich einer Gefangennahme zu entziehen.

»Er kann unmöglich alle Bilder von sich vernichtet haben«, sagte Gurney. »Bronso war der Erbe des Hauses Vernius. Es muss doch Dokumente des Landsraads geben.«

»Die sind entweder im Djihad und bei der Plünderung von Kaitain verlorengegangen oder wurden vorsätzlich von Landsraads-Repräsentanten gelöscht, die mit ihm zusammenarbeiten. Paul hat sich dort kaum Freunde gemacht, und unter Alia schwindet die Macht des Landsraads sogar noch weiter.« Duncan zeigte ein Lächeln. »Wie dem auch sei, wir haben Bilder von der Ixianischen Konföderation erhalten, die nicht besonders viel für ihn übrighat. Sie versucht immer noch, sich Alias Wohlwollen zurückzukaufen. Und ich habe perfekte Erinnerungen an Bronso in jüngeren Jahren, als er mit Paul zusammen war.«

»Damals war er ein Junge. Dies hier ist etwas ganz anderes als die letzte Gelegenheit, bei der wir ihn gejagt haben.«

»Aber wir werden ihn finden – wie damals auch.« Duncan holte einen Notiz-Kristallprojektor hervor und rief einen Eintrag auf. »Ich habe die Verteilung seiner neuen Traktate zurückverfolgt. Sie scheinen zufällig an allen möglichen Orten aufzutauchen, auf einer Welt nach der anderen, in Zusammenhang mit Personen, die keinerlei erkennbare Verbindung untereinander haben, keine politischen Gemeinsamkeiten, keinen erkennbaren Groll gegen Paul. Ich glaube, dass Bronso ein Heighliner-Verbreitungsnetzwerk hat, dass er die Gilde benutzt, vielleicht sogar, ohne dass sie es weiß.«

Gurney zog eine finstere Miene. »Auf unserer Reise hierher haben Jessica und ich eins seiner Manifeste in einer öffentlichen Gaststätte gesehen. Zumindest einige der Waykus sind in die Sache verwickelt. Bronso hat vielleicht tausende Konvertiten, die ihm helfen, indem sie zufällig ausgewählten Reisenden Broschüren zustecken, die diese dann an weit entfernte Orte tragen, wie ein Gazehund Zecken verbreitet.«

Duncan zeigte sich nicht überrascht von dieser Idee. »Ich habe bereits einen Plan entwickelt. Ich habe neunhundert ausgebildete Mentaten rekrutiert. Jeder Einzelne hat sich Bronsos Erscheinungsbild auf Grundlage der von den Ixianern zur Verfügung gestellten Bilder eingeprägt, und sie werden auf Raumhäfen, in Städten, überall, wo er auftauchen könnte, nach ihm Ausschau halten.«

»Neunhundert Mentaten? Bei den Göttern der Unterwelt, ich wusste nicht, dass man an so viele herankommen kann!«

»Neunhundert. Wenn irgendeiner von ihnen Bronso sieht, wird er ihn erkennen und Bericht erstatten.« Duncan erhob sich, um ihre Besprechung zu vertagen. »Ich glaube, wir sollten unsere Bemühungen hier auf Arrakis konzentrieren. Das ist so ein Bauchgefühl.«

»Ein Bauchgefühl? Das klingt nach dem alten Duncan. Glaubst du wirklich, dass er hier irgendwo ist?«

»Um genauer zu sein, in Arrakeen.«

Gurneys Stirn legte sich in Falten. »Warum sollte Bronso herkommen? Er weiß, dass es hier nicht sicher ist. Dies ist der letzte Ort, an dem ich mit ihm rechnen würde.«

»Genau deshalb glaube ich, dass er hier ist oder es bald sein wird. Ich habe eine genaue Analyse der Bewegungen und der Verteilung seiner Publikationen vorgenommen. Es passt in sein Muster. Ich kann dir die Mentaten-Ableitung erklären, wenn du möchtest, aber das würde einige Zeit beanspruchen.« Duncan hob die Augenbrauen.

»Ich vertraue auf deine Schlussfolgerungen, ganz gleich, ob ich sie verstehe oder nicht. Unterdessen werde ich mich bei meinen alten Schmugglerkontakten umhören. Es besteht die Möglichkeit, dass Bronso sie um Hilfe bittet – sein Großvater Dominic hatte ein recht ansehnliches Schmuggler-Netzwerk.« Mich eingeschlossen, dachte er. »Wir werden ihn finden.«

Duncan ging zur Tür. »Natürlich werden wir das. Wir verfügen über Ressourcen, denen er nichts entgegenzusetzen hat. Und wenn wir beide zusammenarbeiten, hat niemand eine Chance gegen uns.«

 

Gurney Halleck freute sich jedes Mal, wenn Jessica ihn sehen wollte. Sie bat ihn zu einem Treffen in den Kellergewölben des Palasts. Die Tunnel, die einst unter der Arrakeen-Residenz verlaufen waren, dienten nun als Zugänge zu riesigen unterirdischen Zisternen, die Wasser für den Tagesbedarf der mehrere Tausend Zitadellenbewohner enthielt. Jessica war vor kurzem aus der Wüste zurückgekehrt, hatte ihm jedoch ungern davon berichten wollen.

Wenn die Mutter Muad'dibs sich von einem Gemach ins nächste begab oder in die Stadt ging, folgte ihr normalerweise eine Schar von Funktionären, doch Jessica hatte all diese Leute unter dem Vorwand fortgeschickt, dass sie die Wasserversorgung des Palasts inspizieren musste, ohne dabei gestört zu werden. Gurney kannte den wahren Grund, warum sie allein gekommen war. Sie wollte sich an einem ruhigen, unbeobachteten Ort mit ihm unterhalten.

Er fand sie in einem schattigen Raum, der von spärlich verteilten Leuchtgloben erhellt wurde. In den steinverkleideten Tunneln hing eine Kühle, und die Schatten selbst kamen ihm feucht vor. Die Geräuschkulisse von Wasser, das in die Becken tropfte, die Feuchtigkeit, die die Reservoirs von den Hallen über ihnen zurückforderten, klang wie Musik in seinen Ohren.

Dank der vorausschauenden Pläne von Pardot Kynes und seinem Sohn Liet hatten die Fremen für die bevorstehende Verwandlung von Arrakis enorme Wassermengen eingelagert. Trotzdem hätten diese riesigen, mit Polymeren ausgekleideten Becken die Bewohner des alten Wüstenplaneten in Staunen versetzt. Ein solcher Hort bewies die Macht und den Glanz Muad'dibs.

Jessica stand mit dem Rücken zu ihm. Ihr bronzefarbenes Haar war zu einem komplizierten Knoten hochgesteckt, und ihr Kleid und ihre Haltung bildeten eine seltsame Mischung aus Fremen-Praktikabilität, kühlem Bene-Gesserit-Konservativismus und herrschaftlicher Schönheit.

Seit Letos Tod waren sechzehn Jahre vergangen, und während dieser Zeit hatte Gurney mit seiner sich wandelnden Wahrnehmung von Jessica gerungen. Seit langem waren sie enge Freunde, und er konnte seine erwachenden Gefühle für sie nicht unterdrücken, obwohl er sich Mühe gab, sie abzuschütteln. Er konnte nicht vergessen, dass er versucht hatte, sie zu töten, als sie sich draußen in der Wüste zum ersten Mal wiederbegegnet waren – Gurney mit seiner Schmugglerbande und Paul und Jessica mit ihren Fremen. Er war davon überzeugt gewesen, dass sie das Haus Atreides verraten hatte. Er hatte die von den Harkonnens verbreiteten Lügen geglaubt.

Jetzt zweifelte Gurney nicht mehr an Jessicas Integrität.

Neben der Zisterne drehte sie sich um und schaute ihn an. Ihr Gesicht hatte sich trotz der vergangenen Jahre kaum verändert, doch es waren keine Bene-Gesserit-Tricks, mit denen sie dem Alter trotzte. Jessica war schlicht und einfach schön, und sie brauchte keine Chemikalien oder Zellanpassungen, um sich ihr atemberaubendes Erscheinungsbild zu bewahren.

Er verbeugte sich förmlich. »Mylady, Sie haben nach mir geschickt?«

»Ich muss dich um einen Gefallen bitten, Gurney, um etwas sehr Wichtiges und sehr Vertrauliches.« Sie benutzte nicht die Stimme und wandte auch sonst keine erkennbaren Bene-Gesserit-Techniken an, doch in diesem Moment hätte er alles für sie getan.

»Es soll geschehen – oder ich werde bei dem Versuch sterben.«

»Ich will nicht, dass du stirbst, Gurney. Das, was ich im Sinn habe, wird Raffinesse und größtmögliche Sorgfalt erfordern, aber ich bin mir absolut sicher, dass du dazu fähig bist.«

Er spürte, wie er errötete. »Ich fühle mich geehrt.« Er war nicht so dumm zu glauben, dass Jessica sich seiner Gefühle für sie nicht bewusst wäre, wie sehr er sich auch bemühte, eine gleichmütige Haltung und respektvollen Abstand zu wahren. Jessica hatte eine Bene-Gesserit-Ausbildung, sie war eine Ehrwürdige Mutter. Sie konnte seine Stimmungen lesen, ganz gleich, wie geschickt er sie verbarg.

Aber was für eine Art von Liebe empfand er für sie? Das war sogar Gurney selbst unklar. Er liebte sie als Gemahlin seines Herzogs und war ihr als Mutter von Paul treu ergeben. Er fühlte sich körperlich zu ihr hingezogen, daran bestand kein Zweifel. Und doch trübte sein Atreides-Ehrgefühl all diese Empfindungen. Er war so viele Jahre lang ihr Gefährte gewesen. Sie waren Freunde und Partner, und gemeinsam hatten sie Caladan gut regiert. Aus Respekt für Herzog Leto hatte Gurney seine romantischen Gefühle für sie immer unterdrückt. Doch inzwischen waren so viele Jahre vergangen. Er war einsam. Sie war einsam. Sie würden perfekt zusammenpassen.

Und dennoch wagte er es nicht ...

Sie schreckte ihn aus seinen Gedanken auf. »Alia hat dich und Duncan darum gebeten, Bronso von Ix aufzuspüren.«

»Ja, Mylady, und wir werden unser Bestes geben. In diesen heiklen Zeiten leisten Bronsos Schriften dem Chaos Vorschub.«

»Das sagt meine Tochter auch, und genau das ist es, was sie Irulan zu schreiben zwingt.« Sorgenfalten erschienen auf Jessicas Stirn. »Aber Alia versteht nicht alles. Meine Bitte an dich kann ich nicht erklären, Gurney, weil ich anderweitige Versprechen gegeben habe.«

»Ich brauche keine Erklärungen, lediglich Ihre Anweisungen, Mylady. Sagen Sie mir, was Sie wünschen.«

Sie trat einen Schritt auf ihn zu, und er konzentrierte sich ausschließlich auf sie. »Ich wünsche, dass ihr Bronso nicht findet, Gurney. Es wird schwer werden, weil Duncan bei der Jagd mit Sicherheit all seine Möglichkeiten zum Einsatz bringen wird. Aber ich habe meine Beweggründe. Bronso von Ix muss seine Arbeit fortsetzen können.«

Gurney wurde von Zweifeln bestürmt, doch er gestattete es sich nicht, sie zu äußern. »Ich habe Ihnen mein Wort gegeben, keine Fragen zu stellen. Wäre das alles, Mylady?«

Jessica blickte ihn eindringlich an. Ihre Augen, die früher leuchtend grün gewesen waren, hatten im Laufe der Jahre durch den Melange-Konsum eine blaue Tönung angenommen. Abgesehen davon meinte er, eine Ahnung von Zuneigung darin zu sehen, die über das gewöhnliche Maß hinausging.

Sie drehte sich wieder um und schaute zur Felswand der Zisterne. »Danke, dass du mir vertraust, Gurney. Ich weiß das mehr zu schätzen, als du jemals ahnen wirst.«

Dune 02,5 - Stürme des Wüstenplaneten
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